Ausrichter der 34. Ethiktagung waren die Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik (PP.rt), eine Tochtergesellschaft der BruderhausDiakonie, und das Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg. Die Schwerpunkte der Tagung am 10. Oktober 2024 in Reutlingen waren emotionale Belastungen und Herausforderungen im psychiatrischen Alltag sowie Strategien zur Bewältigung von Konflikten. „Die emotionale Belastung durch herausforderndes Verhalten ist nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für Mitpatientinnen und Mitpatienten eine schwierige Situation", sagte Prof. Dr. Gerhard Längle, Regionaldirektor im ZfP Südwürttemberg und Geschäftsführer der PP.rt. „Solche Ereignisse bringen oft alle Beteiligten an ihre Grenzen.“ An der Tagung am Welttag der Seelischen Gesundheit nahmen rund 230 Personen teil. 

Rechtliche Rahmenbedingungen und Schutz für Psychiatrie-Mitarbeitende

Ein zentrales Thema der Tagung war der rechtliche Umgang mit Übergriffen in der Psychiatrie. In einem Dialog zwischen Oberstaatsanwalt Markus Wagner und Dr. Hubertus Friederich, Ärztlicher Direktor des ZfP Südwürttemberg am Standort Zwiefalten, ging es um die rechtlichen Rahmenbedingungen. Friederich berichtete: „Tätliche Angriffe auf Rettungskräfte werden inzwischen gesondert unter Strafe gestellt." Das gelte nicht für Mitarbeitende in der Psychiatrie. „Warum ist das so?“ Er kritisierte, dass Psychiatrieschaffende oft nicht ausreichend geschützt seien. „Übergriffe auf unser Personal werden weniger konsequent geahndet, und das muss sich ändern. Es darf nicht sein, dass solche Vorfälle im psychiatrischen Kontext anders bewertet werden.“ Oberstaatsanwalt Markus Wagner gab ihm in Teilen Recht und ging auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit Schuldunfähigkeit ein. „In vielen Fällen bleibt als letzte Konsequenz nur die Unterbringung in einer forensischen Einrichtung“, erklärte Wagner. Dennoch sei es wichtig, Straftaten konsequent anzuzeigen, um auch im psychiatrischen Bereich ein klares Signal zu setzen.

Übergriffe auf Mitarbeitende in Einrichtungen nehmen zu 

„Die Anzahl der Übergriffe nimmt zu”, sagte Eva Schott, Leiterin der Unternehmensentwicklung des ZfP Südwürttemberg. „Unsere Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterbefragung hat gezeigt, dass sich 31 Prozent der Mitarbeitenden in patientennahen Bereichen körperlich unsicher fühlen.“ Besonders besorgniserregend sei, dass eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgrund von Konflikten mit Patientinnen und Patienten in Erwägung zieht, den Arbeitsplatz zu wechseln. Claudia Röhm, ehemalige Patientin und Genesungsbegleiterin in der Klinik, berichtete aus ihrer Dreifachperspektive: „Ich habe in Krisensituationen selbst überreagiert, Gewalt von Mitpatienten erlebt und stehe nun vor den Herausforderungen als Genesungsbegleiterin.“ Sie forderte mehr Handlungsspielraum für das Personal, um eskalierende Konflikte frühzeitig zu deeskalieren: „Vieles könnte durch Gespräche und gegenseitiges Verständnis gelöst werden, doch es braucht mehr Ressourcen.“

Sicherheitsdienste als Unterstützung in psychiatrischen Einrichtungen 

Eine kontrovers diskutierte Lösung im Umgang mit Übergriffen ist der Einsatz von Sicherheitskräften. Dr. Stephan Schieting, Ärztlicher Direktor des ZfP am Standort Emmendingen, berichtete über positive Erfahrungen in seiner Klinik. „Die Befürchtung, dass Sicherheitskräfte das therapeutische Milieu stören, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Ihre Anwesenheit in kritischen Situationen wirkt deeskalierend und hat zu einem deutlichen Rückgang der Übergriffe geführt.“ Simone Heinkele, die früher für einen Sicherheitsdienst arbeitete und im Sozialdienst der PP.rt tätig ist, fügte hinzu: „Beziehungsarbeit ist entscheidend sowohl im therapeutischen Kontext als auch bei öffentlichen Veranstaltungen. Ein gutes Miteinander zwischen Sicherheitskräften und dem Personal fördert die Sicherheit und schafft Vertrauen.“

Austausch und Strategien zur Lösung von Konflikten in Workshops

Am Nachmittag vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vier thematischen Workshops das Tagungsthema. Sie tauschten Erfahrungen aus und diskutierten praxisnahe Lösungsansätze. Im Fokus standen die (Un)sicherheit von Mitarbeitenden in psychiatrischen Institutionen, die besonderen Herausforderungen im Maßregelvollzug, Perspektiven aus der Sicht von Betroffenen sowie rechtliche Schutzmechanismen und Strafverfolgung. Psychiatriemitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Betroffene sowie Expertinnen und Experten in rechtlichen Themen diskutierten gemeinsam, wie ein respektvoller und sicherer Umgang im psychiatrischen Alltag besser gelingen kann. Die offene Atmosphäre der Workshops ermöglichte einen intensiven Austausch und bot viele neue Impulse für den beruflichen Alltag.